Mitteldeutsche Zeitung – 28.11.2016
…“Stadtjubiläum Musikschüler bieten mehr als 800 Takte aus acht Jahrhunderten.
800 Takte Musik aus acht Jahrhunderten auf acht unterschiedlichen Instrumenten zu spielen: Dieser anspruchsvollen Aufgabe hat sich die Jessener Musikschule für ihr Weihnachtskonzert gestellt. Doch die etwa 50 jungen Künstler und ihre Lehrer haben sich sogar überboten. Das Publikum erlebt am Samstag eine von Ute Burkhardt, Leiterin des hiesigen Musikschulbereiches, unterhaltsam geführte musikalische Zeitreise, die weit mehr als 800 Takte zählt. Im voll besetzten Ratssaal avanciert sie zur klangvollen Hommage an das 800-jährige Jessen. “Hier, wo oft gestritten und diskutiert wird, hat man nicht immer so einen Wohlklang”, bekennt Bürgermeister Michael Jahn (SPD) und freut sich, so viele Gäste in der 800-jährigen “Burg Jezzant” begrüßen zu können.
Premiere für Akkordeonspieler
Zum Auftakt überrascht vielstimmige Akkordeonmusik, und das ist eine Neuheit im Jessener Musikschulrepertoire. Die neunköpfige Gruppe unter Leitung vin Dorothea Schulze hat sich erst im September gegründet. Ihr Premierenstück “Harmonikafreunde” (Curt Mahr, 1907 – 1978) könnte bezeichnender nicht sein, denn das Instrument vereint mehrere Generationen – von der 13-jährigen Janie Lehmann aus Groß Naundorf angefangen bis hin zu über 70-jährigen Senioren.. Einige Mitglieder haben in anderer Formation bereits im früheren Annaburger Ensemble mitgewirkt. Die Jüngsten aus der musikalischen Früherziehung bezaubern dann, angeleitet von Johanna Eisenblätter, mit dem Lied “Lasst uns froh und munter sein”, zu dem auch getanzt wird.
Das folgende Programm spannt einen weiten Bogen und geht tatsächlich in jene Zeit zurück, in der Siegfried II, Bischof von Brandenburg, am 28. Dezember 1216 den Brandenburger Domherren den Ort “Jezzant” als Eigentum bestätigte. Diese Urkunde gilt als die Geburtsstunde des heutigen Jessens. “Diese Zeit musikgeschichtlich darzustellen, war für uns eine besondere Herausforderung. Es gibt kaum schriftlich überlieferte Stücke – und wenn, dann könnten wir heute gewiss das Notenbild nicht mehr lesen. Auch die Instrumente waren größtenteils andere”, verdeutlicht Ute Burkhardt. Doch mit dem “Eiris Sazun”, einem germanischen Mantra aus den “Merseburger Zaubersprüchen” vermittelt das Blockflötenensemble I, begleitet von Dorothea Schulze auf der Harfe, ein höchst sinnliches Hörerlebnis. Es handelt sich übrigens um ein Mantra des Loslassens, des Befreiens von Blockaden – stimmig also für das Hineingleiten in die Adventszeit. Die wundersame Melodie öffnet die Sinne für das älteste schriftlich überlieferte Weihnachtslied “Sei uns willkommen, Herr Christ”. Es stammt aus dem 13. Jahrhundert und wird vorgetragen von den Gitarristinnen Hanna Winkelbauer und Emelie Eiling sowie von Dana Trompke auf der Tenorblockflöte.
Einmal mehr präsentiert Maike Reller ihr musikalisches Ausnahmetalent. Die Gymnasiastin lernt im Rahmen ihres Hauptfaches Gitarre auch das Zupfen der Laute und begeistert mit dem “Recercare” des italienischen Lautisten Spinacino aus dem 15. Jahrhundert. Das Blechbläserquartett mit Alrik Fritzsche, Jassin Awandallah, Moritz Rexien und Alexander Muth unter Leitung von Klaus Vogelsang gibt mit “La Morisque” und “Ronde” einen Einblick in die Musikwelt der Renaissance.
Um 1517 macht sich Martin Luther nicht nur als Bibelübersetzer einen Namen, sondern auch als Komponist. Das Lied “Vom Himmel hoch” wird dem großen Reformator zugeschrieben. Angefangen von der Bach-Version, gesanglich untermalt von Beatrice Lehmann, bis hin zu Max Reger, dessen 100.Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, erlebt das Publikum faszinierende Variationen. Weil die Noten für die Orgel geschrieben waren, wurden sie von Musikschullehrer Otto-Bernhard Glüer für Blockflöten angepasst.
Gänsehaut-Gefühl
Die Zeitalter der Klassik und Romantik werden u.a. mit Werken von Gurlitt und Schumann präsentiert, wobei der “Abendsegen” aus Humperdincks Oper “Hänsel und Gretel”, gesungen von Beatrice Lehmann und Daniela Kösterke, ein Gänsehaut-Gefühl erzeugt. Sodann “galoppieren” Barbara Guti und Alexander Jahn vierhändig am Klavier und sind mit der “Petersburger Schlittenfahrt” unterwegs. “Das Stück kennen viele, doch wir waren selbst überrascht, dass sein Komponist Richard Eilenberg einst Zögling des Annaburger Militär-Knabenerziehungsinstituts gewesen ist”, verrät Uta Burkhardt (…). Dasselbe weiß sie von Ernst Krähmer zu berichten, dessen “Conzert-Polonaise op. 5” von Luise Neupert (Blockflöte) und Barbara Guti (Klavier) vorgetragen wird.
In der Moderne angekommen, erlebt das Publikum unter anderem eine Fahrt mit der “Pioniereisenbahn”, ein Stück des DDR-Komponisten Günther Kochan, das die Pianistin Sophie Heinrich, “ins Rollen” bringt. Fast zum Schluss brillieren Daniela Kösterke (Gesang) und Lars Unruh (Klavier) mit einem Operettenschmaus: “’s ist halt mal im Leben so”, singen beide im Duett – und lassen das Publikum dabei gehörig schmunzeln.”
Anmerkung der Kreismusikschule: Bilder aus dem Konzert in der Galerie